Zwischen den Stühlen

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„Glück ist eine Oase, die zu erreichen nur träumenden Kamelen gelingt“.

Das ist keine Binsenweisheit, sondern eine Beduinenweisheit, die Omar Khir Alanam mit leichter Hand aber alles andere als beiläufig in sein neues Buch streut. Wie so vieles ganz ohne Ausrufezeichen, aber mit der Empathie und Neugier dessen, der sich seine Heimat neu bauen muss, neu bauen darf, neu bauen will. Heimat – ein großes Wort, das sich im Kleinen versteckt. Sie zu suchen bedeutet die Welt, die vor einem liegt, neu entdecken. Egal, woher du kommst. Mit einem Blick, der zugleich nach vorne und zurück schaut.

Ich habe das Glück, Omar seit einigen Jahren zu kennen. Als wir uns das erste Mal trafen, ich weiß es noch ganz genau, es war vor dem Eingang der Academy Bar in Salzburg – wir veranstalteten einen Abend zum Thema „Heimat 2.0“, ich durfte den Abend moderieren und er war als Bühnengast und Autor eingeladen. Mit seinem druckfrischen Erstlingswerk „Danke! Wie Österreich meine Heimat wurde“ unterm Arm setzte er sich vor der Veranstaltung zu mir an den Tisch, der in meiner Erinnerung mitten am Gehsteig stand. Wir stellten uns vor und begannen zu reden. Und die Worte kamen auf uns zu. Ungezwungen. Leichtfüßig. Den ganzen Abend lang.

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Omar kam vor 6 Jahren nach Österreich. Über Umwege von Damaskus nach Graz. Sein Buch „Danke!“ ist so etwas wie eine Annäherung an seine neue Heimat in einzelnen Stationen. Mit viel Witz und Empathie nimmt er uns bei der Hand und bringt uns dorthin, wo wir unsere Welt aus seinem Blick erfahren. Und merken, wie sich dadurch auch neue Fenster in die arabische Welt öffnen. Mit Omar lernen wir, in zwei Richtungen gleichzeitig zu schauen. Und dieses Lernen passiert wie von selber. Nicht im Kopf, sondern dort, wo das Leben zwischen den Kulturen greifbar wird.

Es wäre längst an der Zeit, Danke zu sagen. Danke, dass er unser Land und unser Denken seit Jahren bereichert. Doch Omar ist schon wieder weiter gezogen. Hat Poetry Slams gerockt und Gedichte geschrieben – auf seiner Reise im Dazwischen. Wunderbare Gedichte, deren Zeilen mich nicht mehr loslassen:

„Die Verlierer

sind die, die am häufigsten über den Sieg sprechen.

Lernte ich in Syrien.

Die Sicheren

sind die, die am meisten Angst haben.

Lernte ich in Österreich.“

Jetzt hat er auch noch einen Bestseller draufgesetzt, mein Freund. „Sisi, Sex und Semmelknödel“ ist keine Annäherung mehr. Es ist eine literarische Reflexion aus der Mitte des Landes heraus, wenn zwei Kulturen aufeinanderprallen. Bei Omar ist dieses Zusammenstoßen niemals laut oder brutal. Auch nicht abstrakt oder ideologisch. Sondern immer konkret, mit einer Prise Humor und mitten aus dem Leben. Er lebt und denkt und fühlt und liebt in diesem Land. Ist meiner Grazerin zusammen und mittlerweile stolzer Vater eines kleinen Jungen mit österreichischem Pass.

In dem Drehbuch, das ich gerade schreibe, lasse ich Omar am Anfang aus dem Fenster eines Taxis blicken. Die Landschaft zieht draußen vorbei und seine Stimme sagt folgendes, ohne dass er den Mund bewegt: „Mein Name ist Omar Khir Alanam. Ich bin der, der immer noch seinen Reisepass versteckt. Ich bin Flüchtling. Und ich werde es immer sein. Ich bin der, den jeder Politiker kennt. Ich bin in seiner Rede die Einleitung, der Hauptteil und der Schluss. Ich bin ein Muslim, der 70 Frauen hat. So hat es mir mein Nachbar erzählt. Meine Frau ist eine Grazerin. Sie hat mir einen Sohn geschenkt. ‚Woher kommst du, kleiner Mann?‘, frage ich ihn. ‚Von einem anderen Stern?‘“

Ich bin sehr dankbar, diesen Film-Essay mit und über Omar machen zu dürfen. Er wird „Zwischen den Stühlen“ heißen und in Salzburg gedreht werden. Im Schloss Leopoldskron, in dem der große Max Reinhardt die Salzburger Festspiele erfand. Der Film erzählt die Geschichte einer unmöglichen Begegnung – über Orte und Zeiten hinweg – und das Umkreisen und Hinterfragen des eigenen Standpunkts – zwischen den Kulturen.

"Kultur ist etwas", schreibt er, "das fast überall drinsteckt. Oder sollte. Im Körper. Im Geist. Im Verhalten. In der Kreativität. Im Boden eines Ackers. Ganz egal. Kultur ist Kraft. Zwei verschiedene Kulturen sind zwei verschiedene Kräfte. Wir können sie verwenden, um einander damit zu beschimpfen. Auszugrenzen. Zu hassen. Zu beschießen. Und zu töten. Oder wir können sie zu einer gemeinsamen Kraft bündeln. Wie einen Lichtstrahl, der aus vielen dünnen zu einem dicken wird und auf einen kleinen Mann auf eine Bühne fällt, der seine Beine nicht spürt."

Ich kenne einen Seefahrer, der hat in seinem Hosensack immer eine Kastanie von zuhause eingesteckt. Manchmal, wenn er Heimweh hat, holt er sie heraus, und knetet sie in seiner Handfläche. Der Druck, den er damit erzeugt, lindert den Druck, der auf seinem Herzen lastet. „Wer niemals von zuhause weg war, weiß nicht, was Heimat ist“, meint er, „und braucht es auch nicht zu wissen.“

Das Glück ist eine Oase, die ich mit geschlossenen Augen am besten sehen kann.

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Die Bücher von Omar Khir Alanam:

  • Danke! Wie österreich meine Heimat wurde. edition a, 2018

  • Auf der Reise im Dazwischen. Edition Thanhäuser, 2019

  • Sisi, Sex und Semmelknödel. Ein Araber ergründet die österreichische Seele. edition a, 2020

PS: Wir sind noch mitten in der Finanzierung dieses filmischen Abenteuers. Der Film soll im Frühjahr 2021 im Rahmen von ‚100 Jahre Salzburger Festspiele‘ auf ORF III ausgestrahlt werden. Wer diese Filmdokumentation und damit auch das Tun von fairMATCHING unterstützen will, ist herzlich willkommen!