Die Weltvermessung eines Heimatlosen oder: Zwischen Liebe, Tod und was dazwischen liegt …
Was für eine Reise! Das hätte sich niemand von uns gedacht - als wir im Herbst 2020 überlegten, im Schloss Leopoldskron eine “Lesung für die Katz” zu machen, weil #corona-bedingt keine Zuschauer erlaubt waren.
Damals wussten wir nur, dass wir etwas Filmisches mit OMAR KHIR ALANAM machen wollten, dem syrischen Autor und Freund, dessen Entwicklung wir nun seit 3 Jahren aufmerksam verfolgen. Und wir wussten bald (nach einer ersten Begehung mit den überaus kooperativen “Schlossherren” Thomas Biebl (Salzburg Global Seminars) und Daniel Szelényi (Hotel Schloss Leopoldskron), dass der Geist von MAX REINHARDT in der Bibliothek des Schlosses Leopoldskron spürbar war wie an kaum einem anderen Ort. Damit kam der neue Arbeitstitel “ZWISCHEN DEN STÜHLEN” und die Idee, die Geschichte einer unmöglichen Begegnung zu erzählen – zwischen OMAR un MAX, über Orte, Zeiten und Kulturen hinweg.
Keine historische Annäherung also an MAX REINHARDT, sondern eine Standortbestimmung von OMAR, die sich an der Person des Theatermachers entzündet. Dieser Umweg über den Anderen markiert eine Spurensuche, die den Autor immer wieder auf das zurückwirft, was seine Identität ausmacht. Damit wird Max Reinhardt, der Abwesende und überall fremd Gebliebene, Teil eines Vexierbildes, in dem immer neue Perspektiven freigelegt werden.
Alle Fotos von Siegrid Cain, die das Making-Of dieses Films wundervoll begleitete …
Das war die Idee, wie gesagt. Eine Idee, die immer auch mit der Vision von fairMATCHING flirtet – weil wir ja Plattform sein wollen, für Menschen und Projekte, die mit unserer Unterstützung neue Möglichkeitsräume öffnen. Und dann tauchten wir hinein in das Filmprojekt – der Walter Fanninger hinter den Kamera und ich – und machten uns auf die Suche nach dem Weg und den Rhythmus, den diese Geschichte verlangt. Ein Drehbuch enstand, Inszenierungspartikel, die wir immer wieder ein- und verwarfen, weil wir uns ja – mit einigen dokumentarischen Wassern gewaschen – vor allem überraschen lassen wollten von all dem Unvorhersehbaren, das die Realität des Sets mit sich brachte.
Wir geben mit unserer Inszenierung die Leitplanken vor und werden dabei ständig von der Realität überholt. So ist das Leben.
Und dann trat PHILIPP HOCHMAIR auf den Plan, der uns mit seiner One-Man-Performance „Jedermann-reloaded“ in den Bann zog. Und mit ihm ging eine neue Tür auf, in einen Raum, in dem diese essayistisch getragene Spurensuche in der Begegnung mit dem Schauspieler sich zuspitzt, der im Dialog mit OMAR darüber nachdenkt, wie er den Theaterboden und damit sich selbst ununterbrochen neu verlegt. Plötzlich ist alles Zwiesprache. Fleisch und Blut und ultimative Umkehrung. War es vorher der fremde Blick des syrischen Autors auf uns Vertrautes, ist es am Ende der Schauspieler, der den syrischen Autor auf der Bühne zum Kulturduell bittet. Die Stationen der Reise – Damaskus, Salzburg, Wien – bilden den reflexiven Rahmen für diesen Film-Essay.
Unvorhersehbar in diesem Projekt war auch das Quotenthema, das plötzlich aufpoppte. Einen Film mit vier Männern machen – Max, Omar, Philipp und Daniel – das geht überhaupt nicht, im 21. Jahrhundert. Aber was, fragten wir zurück, wenn die Protagonisten der Geschichte zufällig vier Männer sind? Das Gute an dieser Auseinandersetzung war, dass dadurch die Stimme und Perspektive der HELENE THIMIG Einzug hielt in diesen Film und uns eine zusätzliche Lektüreebene schenkte. Wieder geht eine neue Tür auf – in einen Raum, in dem plötzlich nicht nur MAX REINHARDT sitzt, sondern auch ein Gedicht von OMAR KHIR ALANAM. Helene schlüpft in immer neue Rollen. Nur die eine, die sie immer spielen wollte, “erlaubte” ihr ihr Lebensgefährte nicht. Dass die “Iphigenie auf Tauris” eine Exilfigur ist, ist vor diesem Hintergrund alles andere als ein Zufall.
Das Terrain wird immer komplexer, unsicherer. Wer spricht gerade mit wem und durch wen? Je mehr wir uns vorwagen, umso klarer wird uns, dass Geschichten und Realitäten keine Gegensätze sind; und dass das Dokumentieren der Realität und der Gestaltungswille eng miteinander vewoben sind. Während wir programmatisch unserer eigenen Inszenierung folgen, werden wir ständig von der Realität überholt. Ich spreche von einer Form des Schaffens, die gleichzeitig experimentell, dialogisch und reflexiv ist. Wir schreiben nicht vor, was gesagt oder getan werden soll. Stattdessen setzen wir Leitplanken, in denen sich die Protagonisten szenisch bewegen. Überraschung und ständige konzeptionelle Neuanpassung sind ein wesentlicher Teil des Spiels.
„Jedermann auf Reisen“ ist eine Co-Produktion mit dem ORF. Der Film wird im Herbst 2021 als hintergründiger Kommentar zum Jubiläum „100 Jahre Salzburger Festspiele“ ausgestrahlt.
Danke an alle, die uns unterstützt und sich mit uns auf den Weg gemacht haben!
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Die Bücher von Omar Khir Alanam:
Danke! Wie österreich meine Heimat wurde. edition a, 2018
Auf der Reise im Dazwischen. Edition Thanhäuser, 2019
Sisi, Sex und Semmelknödel. Ein Araber ergründet die österreichische Seele. edition a, 2020