fairMATCHING Job Speeddating – zum siebten Mal!

Man kann meinen, unser erfolgreiches Format ist mittlerweile Routine … ja, gewisse Abläufe und Prozesse durchaus. Doch vieles ist jedes Mal aufs Neue spannend, ungewiss und nicht wirklich planbar – umso mehr freuen wir uns, dass auch unser letztes Job Speeddating sehr erfolgreich über die Bühne gegangen ist.

Letzte Woche war es zum 7. Mal wieder soweit:  Elf Salzburger Unternehmen und ca. 35 Arbeitsuchende Menschen haben sich bei unserem Job Speeddating – ganz ungezwungen und unverbindlich – kennen gelernt.

Von 9-12 Uhr fanden im Bildungszentrum Borromäum (danke zum wiederholten Mal für die Räumlichkeiten, in denen wir fast schon zuhause sind!) sehr viele angeregte Gespräche und ein sehr fruchtbarer Austausch auf Augenhöhe statt.  

Das wunderbare an diesem Format ist, dass sich im Laufe dieses Vormittags aufgrund der Atmosphäre und persönlichen Eindrücke so viel entwickeln kann. Zu sehen, welche Offenheit – sowohl von Seiten der Unternehmen als auch der BewerberInnen entsteht – und welche ungeahnten Matchings daraus resultieren, ist immer wieder einzigartig. 

Wie schön, dass das nie zur Routine wird!

UM MICH HERUM GESCHICHTEN

Luna Al-Mousli hat am Donnerstag, den 1.6.2023 bei uns in der matchBOX gelesen — und mit uns gelacht! Geboren in Melk, Aufgewachsen in Damaskus, STUDIERT an der angewandten in Wien – bewegen sich ihre Arbeiten im Spannungsfeld von Literatur, Kunst und Aktionismus. Und bLEIBEN: AUF DER SUCHE.

Es war die letzte Station einer längeren Lese-Tournee, die Luna nach Deutschland und in die Schweiz führte. Und es wurde, wie so oft in der matchBOX, ein Heimspiel für alle Beteiligten.

Luna erzählte, Luna las und Luna stellte sich mit ansteckender Lust und Offenheit allen Fragen von Wolfgang Tonninger und den interessierten Gästen. Was begeisterte, war - neben den Leseproben - vor allem der erfrischende und lebensnahe Zugang zur altehrwürdigen Literatur. Sie sei hineingestolpert in diese Disziplin, erzählte sie. Ihr erstes Buch war eigentlich die Abschlussarbeit an der Angewandten, ein emphatisch designtes und bis in die Typographie durchkomponietes bibliophiles Kunstwerk in einer Auflage von 10 Stück.

Für den Verlag war das alles “etwas steil” erinnert sie sich, als sie mit fertigem Buch und präzisen Produktionsvorgaben dort anklopfte. Aber dem Zufall wollte sie dieses Projekt auf der Zielgeraden auf keinen Fall überlassen.

EINE TRÄNE. EIN LÄCHELN. MEINE KINDHEIT IN DAMASKUS war der verheißungsvolle Startschuss ihrer literarischen Laufbahn. Der Einband aus weichem Samt steht im Kontrast zu den schmerzlichen Erinnerungen, die der rote Farbverlauf im Bug des Buches andeutet: “Es ist auch jetzt für mich immer noch sehr schwer darüber zu reden, wie es war und vor allem wenn man vor Augen hat, wie es jetzt ist. Und es ist für mich jedes Mal, wenn man das Buch aufmacht und lesen will, wie wenn man in eine Wunde reinschaut. Und diese Wunde dann auch wieder schließt, wenn man das Buch schließt."

Mit UM MICH HERUM GESCHICHTEN und ALS OMA, GOTT UND BRITNEY SICH IM WOHNZIMMER TRAFEN. ODER: DER ISLAM UND ICH gab Luna Al-Mousli eine wunderbare Kostprobe ihres Schaffens. Und auch ein stimungsvolles Bild ihrer Entwicklung als Literatin – von den sehr persönlichen Erinnerungen aus der ICH-Perspektive, zu fünf durchkomponierten ERZÄHLUNGEN aus der Perspektive der Gegenstände, die mit ihren Protagonisten die kulturelle Zerrissenheit der Entwurzelten* ausloten.

Wobei – das mit der Entwicklung ist alles andere als gesetzt. “Ich denke Bücher als Projekte. Und die Projekte machen ganz unterschiedliche Herangehensweisen und Stile erforderlich. KLATSCHEN REICHT NICHT – mein Buch mit Portraits über Systemheldinnen ist naturgemäß viel reportagiger als die Erzählungen. Keine Ahnung, welches Projekt mich als nächstes fesselt. Ich bin gespannt.”

Wir sind es auch, liebe Luna.
Und schau vorbei in der matchBOX, wenn du in Salzburg bist!

*Das mit der Entwurzelung sagt sich so schnell. Aber natürlich ist das etwas, das zwischen dem Gefühl “Zuhause zu sein” und “Heimat” steht bzw. dafür verantwortlich ist, dass diese beiden Gefühlszustände nicht einfach zur Deckung gebracht werden können. Einen Tag nach der Lesung von Luna Al-Mousli lese ich den GEMISCHTEN SATZ von ZEIT-Redakteur Christian Ankowitsch, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt und immer noch fremdelt. Ganz bewusst fremdelt, wohlgemerkt, weil er sich damit beweglich hält: “Ich fühle mich halb dabei und halb draußen und schlingelschlangel unberechenbar zwischen den beiden Aggregatzuständen hin und her. Wie ich mich fühle, hängt von meiner Tagesform ab …”

An diesem Tag hat die Form jedenfalls gestimmt, bei Luna!

Wir müssen die Dinge beim Namen nennen

“ÖVP-Chef Karl Mahrer ist ein Rassist.” So betitelt Florian Klenk seinen heutigen Newsletter. fairMATCHING sieht sich auch als Plattform, um diesen Positionen Raum zu geben. Denn die rechte Unterwanderung dieser Gesellschaft ist mittlerweile zum Haareraufen. Wir wollen diesen gegenaufklärerischen und demokratiefeindlichen Tendenzen keinen Raum geben. Und keinen Platz in unseren Köpfen. Herr Klenk, hier ist der Platz für Sie. Copy. Paste.


Guten Morgen!

Gestatten Sie mir ein persönliches Werturteil: Karl Mahrer ist ein Rassist. Ich schreibe das hier nicht einfach so hin. Ich kenne den derzeitigen Chef der ÖVP Wien seit zwanzig Jahren, weil ich früher oft über Polizeifolter berichtet habe. Mahrer zog hier klare Linien und ich hätte ihm, dem ehemaligen Vize-Chef der Wiener Polizei, dieses Etikett nie verliehen.

Aber seit einigen Tagen sehe ich es anders. Warum? Mahrer macht mit einem Video über den Brunnenmarkt gegen Ausländer mobil. Und zwar nicht etwa, weil sie extremistisch oder kriminell sind, also ein unliebsames Verhalten setzen. Sondern nur deshalb, weil sie Ausländer sind und es wagen, hier zu arbeiten und „ungestört ihre Kultur zu leben". Genau so formuliert es Mahrer und stört diese Menschen. Er greift sie nur aufgrund ihrer Herkunft an. Genau das ist Rassismus.

Sie merken schon, ich reagiere scharf. Das ist deshalb so, weil der Brunnenmarkt auch mein Grätzel ist. Ich beobachte sehr genau, was hier passiert und wie die Stadt regiert. Ich kenne die Lokale, die Standler, die Bäcker, Wirtsleute, Bezirkspolitiker. Natürlich gibts hier all die Probleme einer verdichteten Großstadt, vor allem an Schulen. Themen, denen sich die Politik annehmen muss. Aber nicht so wie Mahrer. 

Mahrer mag keine Ausländer am Brunnenmarkt, weil sie genau das tun, was die ÖVP will: sie betreiben freie Marktwirtschaft. Mahrer aber verachtet sie, weil sie anders aussehen, anders essen und anders beten, als er selbst. Mahrer schürt deshalb Neid: mit Vorurteilen und Unwahrheiten. 

Er tut das, um in jenem FPÖ-Milieu zu fischen, das er die „schweigende Mitte“ nennt. Manche Journalisten, etwa ein Kollege vom Kurier, meinen nun, man solle Mahrers „spalterischen Opa-Content“ nicht weiter breiten, denn: „Ist es nicht wurscht?“ 

Nein, es ist nicht wurscht.

So sieht lauf ÖVP-Chef Mahrer ein „Sinnbild gescheiterter Integration“, eine „No-Go-Area“ und eine „Unsicherheitszone“ aus – der Brunnenmarkt im 16. Bezirk (© FALTER/Christopher Mavrić)

Mahrers Mär

… und die Fakten.

Schauen wir uns Mahrers Propaganda genauer an. Sein Video nennt sich „Brunnenmarkt einst und heute“ und Mahrer behauptet darin, er habe mit Anrainern und Standlern gesprochen. Und die hätten ihm Folgendes erzählt: „Syrer, Afghanen, Araber“ hätten „die Macht über den Brunnenmarkt“ übernommen. Da gebe es zum Beispiel das Gerücht über „einen Syrer“, der „hat fünf Stände am Brunnenmarkt“ und er wolle „einen sechsten und einen siebten“ und er habe gesagt: „Ich zahle jeden Preis, ich habe Geld genug“.

Der Text enthält alle rechten Codes, wie sie auch die Identitäre Bewegung verbreitet. Da sind die "anderen" (die Afghanen und Araber), die hier „die Macht übernehmen“, "die Syrer", die „jeden Preis“ zahlen, weil sie „Geld genug“ haben und das Wiener Wahrzeichen „aufkaufen“. Mahrers Klientel versteht es: die arabischen Clans bedrängen nicht nur unser Wien, sondern auch unsere Bauern, die hier verdrängt werden.

Nirgendwo findet sich für Mahrers Behauptungen ein Beleg. Im Gegenteil: am Samstag ist der Yppenplatz voll mit Bauern. Mahrer war offenbar noch nie hier.

Aber der Wiener ÖVP-Chef legte auf Twitter noch nach. Am Brunnenmarkt würden sich Zuwanderer „zunehmend von der Mehrheitsgesellschaft abschotten“. Der Brunnenmarkt, twittert er, sei ein „Sinnbild gescheiterter Integration“, eine „No-Go-Area“ und eine „Unsicherheitszone“. Er hätte nur in eines der vielen Cafés gehen müssen, um sich eines Besseren zu belehren.

Und dann macht er noch etwas wirklich Hinterhältiges: Er stellte eine diskursive Verknüpfung zwischen den Marktstandlern und allen Sexualstraftaten her, die in Ottakring von 2020 auf 2021 angeblich „um 50 Prozent“ gestiegen seien.

Beginnen wir mit der Polizeistatistik: In der Corona-Zeit kletterte die Zahl der Anzeigen wegen Sexualstraftaten in ganz (!) Ottakring von 68 auf 105. Pro Jahr. Davon betrafen allerdings 24 Anzeigen wegen Kinderpornografie am Computer – also Delikte, die nicht im öffentlichen Raum begangen wurden, schon gar nicht am Brunnenmarkt. Wegen des Vergehens „sexueller Belästigung“ wurden 22 Anzeigen erstattet – bei 102.000 Einwohnern eine erstaunlich geringe Zahl, zieht man in Betracht, dass der äußere Gürtel uns seine Lokale zu Ottakring zählen.

No-Go-Area? Der Brunnenmarkt zählt pro Woche laut Marktamt 80.000 Besucher. Das sind rund vier Millionen Menschen pro Jahr. Er ist damit der am meisten besuchte Markt, am Samstag findet man am Yppenplatz in den bosnischen, türkischen oder Wiener Lokalen keinen freien Stuhl.

Niedergang der Marktkultur? Gäbe es keine „Syrer und Afghanen“, wäre das Grätzel tot, schreibt Clemens Neuhold vom profil, selbst ein Brunnenmarkt-Anrainer. Und sogar das ist gewagt, denn die 171 Marktstände werden von Kleinunternehmern aus 46 Nationen bewirtschaftet – hier ist also nicht „alles gleich“, wie Mahrer insinuiert. Und am Wochenende kommen die von Mahrer vermissten „heimischen Landwirte und Nahversorger“ und bieten Kraut, Speck und Rüben feil.

Die Stadt Wien hat hier auch nie „weggesehen“. Im Gegenteil, sie hat fett investiert. 2010 wurde der Markt um vier Millionen Euro generalsaniert. 600.000 Euro hat die Stadt die Modernisierung und Begründung des Yppenplatzes investiert. 2019 erfolgte die Sanierung der angrenzenden Neulerchenfelderstrasse. Sie wurde um fünf Millionen Euro begrünt, mit Sitzmöbeln versehen und fußgängerfreundlich gestaltet. Die Ottakringerstrasse wurde 2013 saniert: 6,2, Mio Euro flossen in breitere Gehsteige und einen Radweg. Bei der Josefstädterstraße werden Obdachlose nicht vertrieben, sondern im "Josi" betreut.

Am Markt selbst wurde die Nordzeile 2019 zur Fußgängerzone. Die Thaliastrasse wird gerade zu einem „Klimaboulevard“, das kostet 18 Millionen. 200 Bäume, Sitzmöbel, Präriebeete gibt es hier jetzt – und natürlich das Kinderfreibad.

Beim Brunnenmarkt finden Kulturfestivals statt, das Volxkino, die Kunsttankstelle und die Brunnenpassage öffnen hier die Türen. Die Passage gehört der Caritas. Mahrer war hier vor ein paar Jahren und warnte vor Zündlern, nun ist er selbst einer.

Caritas-Direktor Klaus Schwertner richtet Mahrer daher Folgendes aus: „Wir erleben den Brunnenmarkt als Erfolgsbeispiel, wie Integration in einer Millionenstadt gelingen kann. Es ist höchst befremdlich, dass nun eine Partei, die gerne Integration vor Zuzug fordert, es Marktstandlern gleichzeitig zum Vorwurf macht, wenn sie Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen. Ich glaube, dass es weniger der Brunnenmarkt ist, der sich in den vergangenen Jahren geändert hat, als vielmehr Karl Mahrer selbst.“

Unsicherheitszone? Ja, für die FPÖ und die ÖVP. Die Blauen haben im Sprengel Yppenplatz bei der Nationalratswahl nur mehr 4,2 Prozent bekommen, die ÖVP 13 Prozent. Wo sich Menschen unterschiedlicher Kulturen begegnen, haben die Angstmacher keinen Auftrag. Da wird grün gewählt - die Ökos haben im Sprengel Yppenplatz mit 45 Prozent ihre Hochburg.

 

Florian Klenk


Küchenkabarett mit Omar Khir Alanam

Wir haben es geschafft! Nach 3-jähriger Pause war es wieder soweit. Am 24. Februar im Bauchladen konnten wir unsere Vision wieder mal erproben: 40 Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft an einem Tisch auf Augenhöhe zu versammeln. Gut, es wurden am Ende 4 Tische. Aber es war Augenhöhe pur. Von Anfang an.

Danke an alle die da waren und damit unseren Verein unterstützt haben! Und danke an das tolle Team vom bauchladen – Susanne Erhart, Andreas Auer und Andreas Sunkler –, mit dem wir gemeinsam erspüren konnten, was Partnerschaft bedeuten kann.

Und danke natürlich an den Autor, Poetry Slammer, Kabarettisten, küchenchef und freund OMAR KHIR ALANAM! Was du in der Küche und um die Küche herum geleistet hast, war einfach wundervoll.

Wir sind demütig. Weil wir wissen, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Aber der Funke ist übergesprungen. Und die Welt war für einen Abend lang ein kleines Stück besser. Das angekündigte Feuerwerk für Herz, Hirn und Magengrube fand statt. Leise und spektakulär zugleich. Danke Siegrid Cain!, dass du den Abend - angeräumt mit kulinarischen und menschlichen Höhepunkten – fotografisch so wunderbar festgehalten hast.

Grotesk, dass es ausgerechnet der Jahrestag war, an dem der fürchterliche Krieg in der Ukraine begonnen hat. Seit damals gibt es in Österreich es auch sogenannte “KRIEGSVERTRIEBENE” neben den “GEFLÜCHTETEN”. Wir wissen, wie wichtig die schnelle Aufnahme der Menschen war und ist, die aus der Ukraine zu uns kommen. Wir wissen aber auch, dass die Arbeit mit Flüchtlingen so wichtig ist, wie nie zuvor – auch, oder gerade weil sie immer mehr aus dem Diskurs hinausgedrängt werden. Dabei dreht sich hier wie dort alles um die eine Frage: Sind wir als Gesellschaft bereit, Menschen eine Perspektive zu geben?

Man braucht ein großes Herz, wenn man/frau heute ein Fest begehen will. Krieg, Naturkatastrophen, Klimakollaps und De-Solidarisierungstendenzen überschatten beinahe alles, was wir angreifen. Aber wie unser lieber Freund Omar Khir Alanam es treffend formulierte: “Wir dürfen nicht aufhören zusammen zu kommen, wir dürfen nicht aufhören daran zu erinnern, dass Morgen schöner ist.”

Corona hat vielleicht unser Zeitgefühl beschädigt. Corona hat vielleicht die Visionen kleiner und die Angst größer gemacht. Aber die Menschlichkeit lassen wir uns nicht nehmen. Es ist wie gestern und doch eine Ewigkeit her, dass Jehad Turjman am 30. Juli 2022 am Höhen Göll den Abstieg nicht mehr fand. Auch ihn haben wir an diesem Abend in unsere Mitte genommen. Das Herz hat gelacht. Das Herz hat geweint. Und es fühlte sich an wie das Leben.

In ein paar Tagen wird der unermüdliche Omar bei den Dancing Stars seinen ersten Samba tanzen. Wir drücken ihm die Daumen und hoffen, dass er bis dahin das Küchenkabarett in Salzburg aus den Knochen bekommt. Du warst großartig. Wir danken dir!

WOHER, WOHIN?

Letzten Donnerstag war ein ganz besonderer Tag für unsere matchBOX. Verwandelte sie sich doch erstmals unter der Hand und vor unsren Augen zur Bühne, die Akram Brody (Performance) und Mario Vavti (Posaune) wunderbar bespielten.

Im Stück “WOHER, WOHIN?” für einen Schauspieler und einen Musiker, das der im Irak geborene Akram Brody gemeinsam mit Christa Hassfurter von bodiendsole erarbeitet und gerade in Hallein uraufgeführt hat, regiert vor allem das Körperliche, Physische, Sichtbare. “Ihr wollt wissen, woher ich komme?” – mit dieser Frage richtet sich Akram Brody nach 5 Minuten erstmals stimmlich an sein Publikum. Wer an dieser Stelle auf eine Antwort wartet, die aus Worten gezimmert ist, wird lange warten. Denn die Antwort, die Akram Brody gibt ist visuell eindringliche Körperarbeit, die nichts anderes sagt als: “dann schaut hin!” - schaut sie an diese fremde und doch so nahe Welt, die er und Mario Vavti mit seinem hautnahen Posaunenspiel bis in die abgelegendsten Winkel beleuchten.

Und es gab in der Tat viel zu schauen. Wie er sich aus den Seilen entwindet, die ihn fesseln, wie er versucht, sich am Boden über dem Wasser zu halten. Wie er sich hinter dem Weltball versteckt, mit ihm spielt oder ihn Atlas gleich schultert. Oder wie er sich durch einen Stuhl schlängeln muss, der traumatisch rot leuchtet, um seinen Platz zu finden.

Die 30 Minuten, die das Stück dauerte, vergingen jedenfalls wie im Flug. Und das, was während des Stücks nicht gesagt wurde, drängte danach in den Theaterraum. Selten so eine feine Stimmung erlebt, wo sich Fragen, Antworten, Kommentare, Ideen in einem gemeinsamen Nachdenken die Hand geben – als gäbe es die Bühne schon nicht mehr.

Danke an alle, die diesen Raum im Miteinander geschaffen haben.


Partizipation ist gesund

WARum ist es für Newcomer in Österreich nach wie vor schwer, ihr leben in die hand zu nehmen?

Diese Frage können wir nicht beantworten, indem wir Arbeit vermitteln. Denn hier geht es um gesellschaftliche Teilhabe und unsere Bereitschaft, Begegnungszonen zu schaffen, in denen Diversität gelebt werden kann.

Es war irgendwann im Jahr 2019, als wir das erste Mal auf PAGES stießen – ein Aktionsforschungsprojekt der FH Salzburg, Bereich Soziale Innovation. Und mit ihm auf die umtriebigen Wissenspraktiker*innen Doris Rosenlechner-Urbanek, Heiko Berner und Martin Lu Kolbinger.

Wir reflektieren unsere Angebote und beziehen uns dabei auch auf Partizipationsstufen nach Wright (2010)

Dass Partizipation ansteckend ist, haben wir von Anfang an gedacht, gehofft, erträumt. Dass sie auch gesund sein kann – in einem ganz elementaren, beinahe existentiellen Sinn –, darauf kamen wir über das Projekt PAGES und seine Bezugnahme auf Aaron Antonovsky. Sein betörend einfacher Dreischritt hat uns seither nicht mehr losgelassen.

Ich kann verstehen.

Ich kann beeinflussen.

Es macht Sinn.

Seit letzter Woche ist die matchBOX selbst Teil eines partizipativen Forschungsprojekts des Studiengangs SOZIALE INNOVATION der FH Salzburg. Mit dabei die Student*innen Duygu Korkmaz, Florian Franz-Josef Meingast und Karim Hufnagl. Begleitet werden sie von Doris Rosenlechner-Urbanek und Heiko Berner.

Nach dem Kick-Off um 13 Uhr gingen wir in die openBOX zur “gesunden Jause”. Und haben den Kreis beinahe spielerisch geschlossen. Wir freuen uns sehr über diese zusätzliche Reflexionsebene und hoffen, dass wir dadurch noch besser “vom Reden ins Tun kommen.”

Standup Tragedy

Ein holpriger Nachruf auf Jad Turjman

Jad, bei der im Text erwähnten Lesung in der matchBOX im März 2022

Jad, ich kann und will mich nicht von dir verabschieden. Heute. Wenige Tage nachdem dein Leben so abrupt endete. Mit einem kleinen, blöden Schritt. Mit einer momenthaften Unbedachtheit, die alles, was dir bislang in bewundernswerter Art und Weise gelungen ist, in einer grausamen Gebärde der Beiläufigkeit auszuradieren scheint.

Gerade noch warst du bei uns in der matchBOX und hast aus deinem ersten Roman gelesen. Wir haben viel gesprochen an diesem Abend. Über deine existentielle Suche nach einer Form, in einem Leben, das dir seit Jahren und nicht erst seit deiner abenteuerlichen Flucht die Inhalte vor die Füße schleudert. Da gibt es so viel, was ich dich noch fragen wollte. Was war es genau, das der Geruch des Jasmins in deiner Seele zum Klingen brachte? Und was genau passiert mit all den Dellen in der Seele, die dich zu einem „erfahrenen Flüchtling“ machen? Du bist dir unter deiner Feder zur Figur geworden – ein Tarek, der dir beim Tragen hilft. Und doch bist du ganz Jad geblieben – das konnte man in jedem Dialog mit dir erleben. Auch wenn du, wie Tarek, gelernt hast, “die Vorurteile der ganzen Gesellschaft wie eine wärmende dicke Jacke an einem warmen und sonnigen Sommertag mit einem Achselzucken zu tragen.” Kein leichtes Bild, zugegeben, – aber eines, das auf den zweiten Blick seine Magie entfaltet, wenn die Vorurteile immer noch für Wallungen sorgen, auch wenn sie schon lange als überflüssig bzw. vollkommen daneben abgespeichert sind.

Das Foto, das mir von dir in die Hände fällt, ist verschwommen. Wackelig. Unscharf. Dein Blick geht woanders hin als deine Hände, die irgendwas in der Luft zu halten und festzuschrauben scheinen. Deine Hände. Dein Suchen. Deine Unrast. Du hast in dem Moment den Halt verloren, als dein Jasmin Wurzeln schlug. Deine jahrelange Flucht ein glückliches Ende fand. Dein letzter Post aus Venedig legt nahe, dass du wirklich angekommen warst. Ich sehe deine Hand die „Jeanskurzhosentasche streicheln“, in der dein österreichischer Pass steckt. Aber dann beginnt dieses Bild zu zittern. Nein, nicht dieses Bild. Es ist mein Zittern, es ist meine Traurigkeit, die sich über diesen von dir festgehaltenen Moment legt.

Orson Welles hat einmal gesagt, dass es nur darauf ankommt, den richtigen Zeitpunkt für das Ende der Geschichte zu wählen, wenn man ein Happy End haben will. Anfänge. Enden. Geben sich die Hand. Drehen sich im Kreis. Dein Tod am Göll ist etwas, das sich in keiner Geschichte festhalten lässt. Dieses abrupte, sinnlos scheinende Ende, nachdem dir so viel gelungen ist und du vor und während deiner Flucht aus Syrien dem Ende so oft entronnen bist. Schlangengleich beißt sich das Leben in den eigenen Schwanz. Ouroboros – ein Angriff auf unsere linear getrimmte Sehnsucht. Je mehr Sinn ein Mensch seinem Leben zu geben imstande ist, umso widersinniger erscheint der Tod, der mit dieser Unternehmung so gar nichts zu tun zu haben scheint. Du warst keine Extremkletterer, der in den Bergen das Risiko suchte oder bewusst einging, um seinem Leben eine zusätzliche Intensität zu geben.

Du warst ein Spaziergänger in den Bergen, ein Flachgauer, der plötzlich den Weg nicht mehr fand. Die Not spürte. Den Ernst der Lage witterte, als es bereits zu spät war. Ich hätte dir so gerne die Ruhe gegeben, die so eine Situation verlangt, wenn man vom Weg abkommt. Aber ich war nicht da. War selbst in den Bergen unterwegs, hunderte Kilometer entfernt, in Frankreich. Und dann kam der falsche Schritt, das Taumeln, die Suche nach Gleichgewicht und Halt als es kein Halten mehr gab.

Seit ein paar Jahren verfolgte ich deine Schritte und kommentierte dich. Kritisch. Freundschaftlich. Und war dann nicht da, um dir im entscheidenden Moment Halt zu geben. Dein Taumeln aufzuhalten. Irgendwo am Göll, als es dunkel wurde und dir der Weg abhanden kam.

Dein Tod ist frei von jedem Sinn. Und vielleicht deshalb auf den ersten Blick so unwürdig für einen, der sich der Sinngebung verschrieben hat. Deshalb lasse ich deine Geschichte in Venedig glücklich enden. Und überlasse den unverständlichen Rest dem Leben, das sich der Geschichte entzieht.

Statt mich von dir zu verabschieden, suche ich nach einem Platz in meinem Herzen, an dem du bleiben und ausruhen und jetzt mich kommentieren kannst. Du fehlst mir. Du fehlst uns. Habibi. Deine streitbar stacheligen Kolumnen – wie sehr werden wir sie vermissen. Und deinen kritischen Blick nach innen, der sich auf die Zwischentöne einlässt und in den Pausen zwischen den Worten das Verletzliche sichtbar macht.

Keine Verabschiedung. Keine “Verabschiebung” – dieser Freudsche Verschreiber könnte von dir sein. Wir werden uns wiedersehen, das weiß ich heute. Und so deute ich deine Abwesenheit als eine andere, eine neue Art, uns zu erscheinen. Könnt ihr sie riechen?

Mark Daniel Prohaska trifft Katharina J. Ferner

Was für ein Grätzlfest! Und was für eine Stimmung. Und das Programm war fast das eines Festivals.

DJ PETE CARNAGE trieb uns durch den Abend und auch der Auftritt von Singer-Songwriter DAVID ERA war denkwürdig gut. Was in der Küche passierte – mit ABOZAR, ANDREA und MICHL –, war mit Sternen nicht zu messen. Und – last but not least – auch die FINISSAGE der Ausstellung 21 MOMENTS bestach durch ihren ganz besonderen Glanz.

Für alle, die sie verpasst haben – die Austellung von Mark Daniel Prohaska UND den “Abgesang” von Katharina J. Ferner, die zu den Foto-Ensembles fünf herrliche Miniaturen knüpfte – fügen wir hier nochmals die Texte und Bilder zusammen. Zum Grätzlfest gibts an anderer Stelle mehr ;-)

Die Autos ziehen in Streifen an mir vorbei, lassen Spuren wie Himmelslinien, auch am Asphalt bleibt ein Muster. Mische sie im Kopf neu zusammen wie Spielkarten, wer zieht zuerst, welche Farbe wird zunächst abgelegt, um im rechten Moment wieder aufgenommen zu werden, rot, weiß oder eher, gelb blau. Und ich denke: Hinter der Absperrung wartet das wahre freie Leben. Bleibe dennoch in gebührendem Abstand, um den Schutzraum nicht ungefragt zu betreten. Sich an den belebtesten Orten ausklinken können - wie weggebeamt. Ein Portal zur Anderswelt, in das wir hineinspähen. Aus dem manchmal ein Lachen hervorbricht, ein Seufzen oder ein Gegenstand über die Grenzen hinausrollt. Vage Hinterlassenschaften. Vielleicht bleibt auch von mir eines dieser Zeichen im Stadtbild erhalten Und später wird jemand sagen: Hier stand einmal. Wenn wir am Betonkokon vorbeigehen: Hier schlief. Und: Hier gibt es ein Portal zur Anderswelt.

Hast du den Kopf schon wieder in den? Nein, im Käse, sage ich. In Wahrheit schaue ich ins Mobiltelefon, das Partykrönchen rutscht mir langsam von der Stirn, hängt lose in den Haaren, es zieht und ziept, aber ich bin zu erschöpft mich wieder aufzurichten, das Kinn nähert sich stetig meiner Brust und die Buchstaben am Bildschirm verschwimmen mir allmählich vor den Augen. Der Bus fährt und fährt nicht. Ich beneide ein vorbeifahrendes Kind, um seinen Roller. Erinnerst du dich an die Roller unserer Kindheit, sie waren alle noch nicht elektrisch und man musste ordentlich antauchen, um überhaupt von der Stelle zu kommen. Dafür hatten sie diese richtig breiten Reifen, die einen ohne große Mühe über Gehsteigkanten und Pfützen springen ließen.

Erhitzte Farben, flirren vor der Sonne. Manchmal habe ich das Gefühl es knistert regelrecht in den Mauerritzen. Ich hätte Lust alles abzulegen, der Schweiß sammelt sich unter dem Jackett, ich lasse mir aber nichts anmerken. Dass du mir, bloß nicht ohne Hut aus dem Haus. gehst, hat sie immer gesagt. Bis heute halte ich mich daran, unabhängig von Wind und Wetter, besitze ein Gummiband für besonders starke Böen, leicht geflochtene Kopfbedeckungen für den Sommer und pelzbesetzte Exemplare für Schneefall. Einen Hut für alle Fälle, hat sie immer gesagt. So kommst du mir zweifelsohne stilsicher durch den Tag, du weißt nie auf wen du triffst. Der heutige Hut war es, wegen dem er sie überhaupt erst kennengelernt hatte. Er war in einer Kinovorstellung gewesen und sie hatte hinter ihm gesessen und sich während des Filmes abwechselnd links und rechts an ihm vorbeigebeugt, um auf die Leinwand sehen zu können. Nehmen Sie ihn nicht ab, hatte sie ihm ins Ohr geflüstert, als er sich an den Kopf griff. Er steht ihnen so gut. Kein einziges Mal hatte sie sich beschwert, nur ihr Kinn streifte manchmal seine Schulter, bei besonders spannenden Stellen.

Die letzte Ampelschaltung, bevor die nächtlichen Verkehrsteilnehmer ihren eigenen Regeln folgen, findet kurz vor Mitternacht statt. Mit einem kurzen Surren kündigt sich der Moment an. Wenn das Licht dann verlöscht, lösen sich Insektenlarven aus ihren Verpuppungen und fallen auf die nun kaum mehr befahrene Straße. Zaghaftes Fühlerstrecken. Auch die Tankstelle schließt bald, die Autos am Parkplatz werden in dieser Nacht eingeschneit. Im Schatten der Laterne liest jemand, mit klammen Fingern blättert er die Seiten um, zieht den Mantel fester. Im Buch hingegen herrschen sommerliche Temperaturen, die Schatten werden zwar schon länger, greifen aber noch nicht über. Es ist der passende Tag für einen Ausflug, eine Wanderung mit Picknickpause, ein Verschwinden zwischen den Seiten.

Das Paket ist zu groß für den Inhalt, der Postbote kann es sich nur schwer unter den Arm klemmen, dreht und wendet es, trägt es auf der Schulter, dabei hat es kaum Gewicht. Er wundert sich. Styropor oder Federn, vermutet er. Tatsächlich trägt er einen Wunsch hinaus in den Hof. Hoffentlich geht er nicht verloren.  Bitte, ich brauche meinen Mantel, hat sie gesagt. Schick ihn mir ins Krankenhaus. Ich will noch einmal an den Säumen riechen und mich erinnern. Der feine Stoff leuchtet im ersten Morgenlicht, das weich durch das Fenster auf ihr Bett fällt und tagsüber durch das Zimmer wandert, die Staubspuren aufdeckt, wie an eingezäunten Tatorten.

matchBOX Momentaufnahme

Wie sich die matchBOX entwickelt, sehen wir jeden Tag. Trotzdem gib es immer wieder Momente, in denen diese Entwicklung besonders gut sichtbar ist.

Ein solcher Moment war die Vernissage von Mark Daniel Prohaksa am 21.4.2022, als nach monatelangem Lockdown endlich wieder mal spürbar war, wie die Dinge, die sich zwischen fairMATCHING, der WERKSTOD und der matchBOX entwickeln, langsam ineinandergreifen. Danke Julia Schwaiger fürs Dabeisein und den schönen Bericht!

Gut gefüllte matchBOX bei Jad Turjman

Vom “Geruch der Seele” – so sein neues Buch – war der Raum gefüllt. Und das begann lange bevor JAD TURJMAN aus seinem Buch zu lesen begann.

Denn davor mussten wir über die Welt sprechen und den Krieg, der nun bis an die Grenzen von Europa reicht. “Wie geht es dir damit, Jad, wenn du siehst, dass das, was PUTIN jetzt in der UKRAINE macht, plötzlich relevant ist in den Medien und in unseren Köpfen? Aber das, was seit mehr als 5 Jahren in Syrien passiert, schon lange keinen News-Wert mehr hat.”

Zugegeben, es hätte entspanntere Einstiege gegeben. Aber wenn das Gegebene in Gestalt der Kriegsrealität, so massiv vor der Tür steht, muss man es reinlassen, wenn der Raum nicht implodieren soll. Auch wenn man SYRIEN und die UKRAINE nicht vergleichen kann, die Situation der Geflüchteten muss man vergleichen. Denn man kann nicht in allen öffentlichen Verkehrsmitteln im Bundesland Salzburg “freie Fahrt für Flüchtende aus der Ukraine!” ausrufen, ohne die Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan mitzudenken, die zum Teil seit Jahren in einem Asylheim auf ihre Bescheide warten und sich die Fahrt zum nächsten Sprachkurs nicht leisten können.

Aber das ist eine Abzweigung, die in eine andere Geschichte führt. An diesem Abend interessierte uns vor allem der Weg, den JAD TURJMAN vom Tagebuch einer Flucht (WENN DER JASMIN AUSWANDERT) zur romanhaften Fiktion im GERUCH DER SEELE genommen hat. Und wieviel Tarek, der Hauptfigur, in Jad, dem Autor, steckt und umgekehrt.

Wir kennen Jad als streitbaren Menschen, der sich in den sozialen Medien kein Blatt vor den Mund nimmt. An diesem Abend erlebten wir den anderen Jad. Den, der mit kritischem Blick nach innen schaut und viel von sich Preis gibt. Den Verletzlichen, der sich auf Zwischentöne einlässt und auf die Pausen zwischen den Worten. Da schimmerte der erfahrene Flüchtling durch, wie er ihn in seinem Roman an TAREK festmacht – der “die Vorurteile der ganzen Gesellschaft wie eine wärmende dicke Jacke an einem warmen und sonnigen Sommertag mit einem Achselzucken zu tragen weiß.” Kein leichtes Bild, zugegeben, – aber eines, das auf den zweiten Blick seine Magie entfaltet, wenn die Vorurteile immer noch für Wallungen sorgen, auch wenn sie als überflüssig bzw. vollkommen daneben abgespeichert sind.

Die Gäste waren anwesend wie selten zuvor. Und die matchBOX gut gefüllt - beinahe wie “am Abend des jüngsten Gerichts.” Wie es dort zugeht, erzählt ihnen Jad, wenn er Zeit hat. Und Lust.

Sakala.